U like?

U like?

Marianne mag mich. Sie hat meinen Post geliked. Dafür schenke ich ihrem neuesten Foto ein Herzchen. Michael dagegen ignoriert meine Postings auf Facebook. Vor einem Jahr hat er mir mal einen Daumen nach oben gegeben, war ein echter Energieschub. Woher kenne ich ihn eigentlich? Kenne ich ihn überhaupt? Aber er hat zweitausend Freunde. Wenn ich alle die FB-Freunde, die ich nicht im realen Leben kenne, aussortieren würde, wären vielleicht gerade mal 100 übrig. Zu wenig fürs Ego – zu viel, um mit FB aufzuhören.

Jedes Like bedeutet, dass mich jemand mag. Dass ich mit meiner Meinung nicht allein bin. Dass jemand das, was ich bin und tue, richtig gut findet. Das ist doch soziale Anerkennung in Reinform, unverschnittenes Koks für unser Bedürfnis, uns in der modernen Welt als wichtig, interessant und relevant zu positionieren.

Obwohl daheim weder Hund noch Hamster auf unsere Kommandos reagieren, können wir uns in den sozialen Medien als Meinungsführer*innen etablieren … und unsererseits Likes verteilen wie Gunstbezeugungen des Internet-Adels: gönnerhaft, launenhaft und in jedem anderen Kontext absolut irrelevant.

Hier kann ich frei heraus zeigen, welche Werte ich vertrete im Leben. Ich tue etwas Gutes, wenn ich einer Aktion den Daumen hoch gebe: ‚Seht her, ich solidarisiere mich, ich unterstütze euch.‘ Nicht real, aber wenigstens virtuell. Was kann ich noch mehr tun? Zum Glück werde ich krass anderen Standpunkten als den meinen ohnehin nicht ausgesetzt.

Das Netz, demokratisch wie es nur auf den ersten Blick ist, präsentiert jeden Content auf die gleiche Weise: Wuschelige Tierbabies, Nachrichten von Naturkatastrophen, Fake-News, politische Aktionen … schaut alles gleich aus, ist gleich real. Doch auch gleich relevant? Auf diese Frage antwortete FB-Gründer Mark Zuckerberg einmal, dass ein sterbendes Eichhörnchen vor der Haustür für die eigenen Interessen akut relevanter sein könne als sterbende Menschen in Afrika.

Und FB wie auch Google WEISS, was für mich ganz individuell relevant ist. Je nachdem, wo ich klicke und was ich like, filtern vollkommen uneinsichtige Algorithmen heraus, was sie auf Grundlage meines Klickverhaltens als für mich „like-würdig“ bewerten. Big Brother sorgt dafür, dass wir nur sehen, was wir mögen.

Der Internetaktivist Eli Pariser hat dies erkannt und 2011 den Begriff der Filterblase geprägt: Wir bekommen präsentiert, was wir wollen – und nicht das, was wir vielleicht brauchen. Wir alle surfen so in einer kleinen heilen Welt von personalisierten Postings und Suchergebnissen, ohne Aussicht darauf, mal etwas außerhalb unserer Blase kennenzulernen, das wir eventuell nach einer Phase des Kennenlernens ebenfalls liken könnten. Pariser vergleicht die Algorithmen des Internets mit Chefredakteuren längst vergangener Print-Zeiten, die ebenfalls entschieden, welche Information auf das Volk losgelassen wurde. Anstatt uns den vollen Zugang zu allem zu gewähren, isoliert und beschränkt uns die Personalisierung der „weiten“ Welt des Webs.

Wie nuanciert können Wahrnehmung und Bewertung in dieser Like-Gesellschaft sein? Wie sieht das Icon aus, mit dem ich ausdrücke, dass ich eine Meinung mies finde und den Meinungsgeber trotzdem respektiere? Wie kann ich vermitteln, dass jemand, der gegen all das steht, das ich per Daumen hoch für gut, schön und wahr erachte, dennoch ein gutes Argument ins Feld führt? Lässt sich das überhaupt trennen? Kann ich sagen: Deine Prämisse ist zwar klasse, aber droht ins Extreme abzukippen? Oder kommunizieren: Hier reißt du das Zitat aus seinem korrekten Kontext? Erkennbar machen: Ich bin mir nicht sicher? Oder auch nur: Deine Katze ist niedlich, aber du bist ein unreflektierter Muskopf?

Natürlich kann ich das – dafür gibt es ja die Kommentarfunktion! Obwohl ich gestehe, dass es recht aufwändig ist, sich in Form einer virtuellen Diskussion mit den Leuten auseinanderzusetzen. (Da wisch ich lieber nach rechts oder wahlweise nach links, denn Menschen innerhalb von Sekunden zu bewerten ist auch nicht schwieriger, als Meinungen zu bewerten.)

Wäre es denkbar, dass wir uns selbst beschränken, wenn wir uns hauptsächlich über das definieren, was wir – aus dem Stand heraus – befürworten und ablehnen, und Seelenverwandten nur in jenen zu erkennen glauben, die ähnliche Vorlieben und Abneigungen zur Schau stellen? Und dass es an uns selbst liegt, ob wir das Web zu einem Fenster, einer Mauer oder einem All Access Backstage Pass machen?

Wie auch immer: Wenn euch der Artikel gefallen hat, freue ich mich über ein Like!

Checkliste für die Wiedergeburt

Checkliste für die Wiedergeburt

Hier bin ich also wieder mal … im entspannten Zustand zwischen Dies- und Jenseits, wo ich frisch und frei bin, weil dieser lästige Körper nicht mehr an mir klebt wie ein zentnerschwerer Kaugummi an der Schuhsohle. „Wer braucht den schon?“, frage ich immer wieder meinen Seelenführer. Und immer wieder erklärt er (oder es? Wir sind hier ziemlich geschlechtslos) mir geduldig, dass ich ohne Körper beim großen Spiel auf der Erde nicht mitmachen kann. Ich muss also immer wieder meine zeit-, grenzen- und makellose Seele in so eine fehlerhafte, schwere und stinkende Hülle zwängen, die unglaublich schnell kaputtgeht, auf die es keine Garantie gibt und die eh von Haus aus nicht lange hält. Fies!

Wir nennen diese Zeit zwischen Zeugung und Wiedergeburt übrigens „Bardo“, so ganz offiziell. Ich hab das am Anfang falsch verstanden und sage seither immer absichtlich „Bordeaux“, um meinen Seelenführer ein wenig zu ärgern. Es ist so ausgeglichen, dass ihm das nichts ausmacht. Jaja, wenn ich nicht immer wieder auf die Erde runter müsste, dann wäre ich auch ausgeglichen, kein Kunststück!

Ich muss aber wieder eine Runde machen, weil meine Seelenaufgabe noch nicht erfüllt ist: Für mehr Liebe in der Welt sorgen, auch wenn die Leute keinen Bock darauf haben. Vorletztes Mal hab ich geschludert, war in einer Sekte der freien Liebe, und unsere letzte Orgie endete mit Massensuizid. Letztes Mal war ich dann zu vorsichtig und landete auf einer einsamen Südseeinsel, wo es außer ein paar Kokosnüssen nichts zu lieben gab.

Deshalb hab ich diesmal eine Checkliste geschrieben, um einen optimalen Start zu haben. (Obwohl: Wie optimal kann der schon sein, wenn man als schreiendes und scheißendes Baby auf die Welt kommt, das von allen nach Belieben herumgeschleppt und von niemandem ernst genommen wird? Entwürdigend, finde ich.)

Geschlecht: Männlich, ganz eindeutig! Ist schon zu lange her, dass es cool war, eine Frau zu sein. Obwohl … könnte auch sein, dass die Männerdominanz jetzt doch auf dem absteigenden Ast sitzt. Ich geh auf Nummer sicher: Transgender.

Eltern: Diesmal nur einen Papa, hab immer noch an den Beziehungen zu meinen letzten Müttern zu knabbern. Aber bitte einen, der auch kochen kann! Am besten einen Österreicher, wegen der Mehlspeisen.

Geburtsort: Schwierig, denn ich schlampe oft beim Recherchieren, und „exotisch“ bedeutet meist nicht Cocktails am Strand, sondern Armut und Elend. Und bloß nicht nach England so kurz vor dem Brexit! Vielleicht wieder mal nach Atlantis? Da war’s immer recht nett.

Kultur: Keine Christen, keine Juden, keine Hindus, keine Moslems! Buddhismus ist mir gerade zu hip, das nehmen ja alle alten Seelen. Überhaupt keine Religion diesmal, und ja keine Sekte – den freien Heiden gehört die Zukunft, die sind keine Fanatiker.

Geburtszeit: Ich würd gern im Sternzeichen Löwe geboren werden, aber wenn es nicht punktgenau hinkommt, werd ich Krebs oder Jungfrau, da ist mir das Risiko zu hoch … also Steinbock!

Körper: Alles, was man braucht, und exakt dieselbe Hautfarbe wie die herrschende Klasse, um Stress zu vermeiden … vielleicht ein bisschen größer als alle anderen, dann sieht man mehr. Aber nur ein bisschen größer, nicht so wie seinerzeit in Lilliput!

Charakter: Vielleicht sollte ich diesmal weniger sturköpfig sein und dafür freundlicher im Umgang mit anderen? Ob das meine Mission in Sachen Liebe unterstützen könnte?

Zu verfolgende Absicht: Andere Menschen bedingungslos lieben, ohne dafür etwas zu erwarten. (Das meint mein Seelenführer. Ich finde ja … aber egal!)

Erinnerungen (falls ich meine Absicht aus den Augen verliere): Ich verliebe mich in Leute mit Psychosen, Zölibat, Ehepartner … oder lande in einer Dating-Show – oder erhalte eine Email von meinem Seelenführer.

Treffen mit Kumpels: Weil das letztes Mal ja so in die Hose (bzw. den Bastrock) gegangen ist, werd ich mir jetzt isoul ins Zellgedächtnis installieren. Damit kann man mit den alten Freunden viel leichter in Kontakt kommen, heißt es. Einmal in Frankreich bin ich meinen Seelengefährten erst dann begegnet, als mein Kopf in der Guillotine lag – während er den Henker gab. Das war ein kurzes Treffen.

So, schwups bin ich im neuen Körper, als Fötus im Mutterleib. Daumen drücken, dass alles klappt! Aber halt … wo sind die Daumen? Ich habe gar keine! Dafür aber … AAAAH! Ich habe doch einen Punkt auf der Liste vergessen: Als welche SPEZIES ich reinkarniere! Nun, ein Leben als Hamster zwischendrin ist ja auch nicht zu verachten.

Verant_WORT_ung!

Verant_WORT_ung!

Am Anfang war das Wort – und seither sind noch ein paar dazugekommen.

Sie sind inflationär in ihrer Fülle. Wir haben so viel davon, dass wir den Russen „Butterbrot“ abgeben können, den Angelsachsen „angst“ und den Franzosen „le heimweh.“ Allein dieser Blog hat mehr Worte, als du je brauchen wirst, um wortgewandt durch’s Leben zu gehen. Und doch gibt es einige Wörter, die fehlen. Wenn man nicht mehr hungrig ist, ist man satt – doch wie heißt die Entsprechung beim Durst?

„Rettet dem Dativ“ hat als grammatikalpolitische Aufforderung jegliche Brisanz eingebüßt, und der Werbung gelingt es, durch schamlose Verbalkosmetik aus jedem Eimer ein „traditionell multifunktionales, beidhändig zu bedienendes Transport-und Aufbewahrungs-Kombigefäß in klassisch-minimalistischem Design“ zu machen.

Verben stehen aktuell weit oben in der Worthierarchie – den Hauptwörtern in der Pole-Position dicht auf den Fersen. Adjektive dagegen haben müssen ihr klägliches Dasein in der Halbwelt von Werbung und Groschenromanen fristen. Dass manche Wortgruppen stilistisch völlig diskriminiert werden, musste ich neulich selbst erfahren, als ich meinem Lektor in einem Vorwort-Lokal traf. Da der wortgewaltige Mann mich eingeladen hatte, um ein ernstes Wort mit mir zu reden, befand ich mich nicht gerade in freudiger Erwortung.

Er ging auch gleich in medias wort: „Du musst verantwortlicher bei der Wortwahl sein. Dein Gebrauch von maßlos vielen Adjektiven ist ohnehin bedenklich – aber diese Menge an Adverbien, das geht zu wort!“

Ich schwieg beleidigt und löffelte nervös meine Buchstabensuppe. Das Radio sang monoton: „Bitte gib mir nur ein Wort!“, während der Kellner versehentlich ein zweisprachiges Menü fallen ließ. Im Aquarium die einzigen Wesen, die nicht viel Worte machten. Dann fragte ich etwas barsch: „Soll ich mich vielleicht vorsorglich gegen Adverbien impfen lassen?“

„Gib dir etwas Mühe, dann wort das schon“, antwortete er. „Kommt Zeit kommt Wort, wie es so schön heißt.“

„Worte sind geladene Pistolen, sagt Sartre“, sagte ich.

„Worte sind Taschen, in die bald dies, bald jenes, bald mehreres auf einmal hingesteckt worden ist. Sagt Nietzsche“, sagte er.

„Der Irrtum wiederholt sich immerfort in der Tat, deswegen muss man das Wahre unermüdlich in Worten wiederholen“, parierte ich mit Goethe.

„Doch nur, wo Worte selten, haben sie Gewicht“, versetzte er mir einen Shakespeare-Hieb.

Da mir die WordsApp auf dem Smartphone nicht weiterhalf, ging ich, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Ich hatte noch einen Termin in der Vogelworte der kleinen Wortschaft. Die Adverbien würde ich (schmerzlich) vermissen.

Von Intros und Extros

Von Intros und Extros

Den Extrovertierten gehört die Welt – das posaunen sie jedenfalls voll Überzeugung in diese hinaus. Laut und leutselig, entscheidungsfreudig und enthusiastisch, richten sie den Blick nach Außen und saugen ihre Energie aus sozialen Interaktionen. Sie stellen rund zwei Drittel unserer Bevölkerung – auch wenn es den Introvertierten vorkommt, als seien doch deutlich mehr dieser oberflächlichen, distanzlosen und aufdringlichen Clowns unterwegs. Die Intros dagegen leben gern in der eigenen Innenwelt, weshalb sie sich von geselligen Zusammenkünften, ja oft den Menschen an sich, ausgelaugt fühlen. Sie sind zurückhaltend und tiefsinnig, im Außen ruhig und eher passiv. Oder aber, wie es die Extros wahrnehmen: verschlossene, unfreundliche und antriebslose Sonderlinge, die ruhig mal aus sich herausgehen könnten. Es sind erstaunlich viele Tests im Umlauf, die einem verraten wollen, was zu dem Wenigen gehört, das wir spontan selbst wissen: ob die eigene Kraft in die Blüte oder die Wurzel strömt. Ob wir lieber auf dem Oktoberfest auf Bierbänken tanzen oder im Zen-Kloster für den Weltfrieden meditieren. Höchste Zeit, die Vorzüge und Nachteile der Jung’schen Typisierung dem Alltagstest zu unterziehen.

In ein gutes Restaurant würde man den Intro mitnehmen, weil er einem nichts vom Teller klaut und sich mit dem Kellner nicht wegen der Höhe der Rechnung streitet. Auf eine einsame Insel dagegen den Extro, weil er – in einem Umfeld ohne Fernsehen – einfach den höheren Unterhaltungswert hat. Der Extro ist dafür sehr wartungsintensiv: Er braucht Gesellschaft und Stimuli bis zum Abwinken, weil er sich sonst langweilt und nichts mit sich anzufangen weiß. Der Hit beim Besuch im Seniorenheim; weniger angenehm als Gegenüber beim konzentrierten Arbeiten. Der Intro ist da ganz pflegeleicht; man kann ihn bei Bedarf in eine dunkle Ecke stellen und später wieder abholen. Nicht wundern, wenn er bei Berührung dann leicht zusammenzuckt. Dagegen verschiebt sich der Aufwand, wenn man die beiden zu einer beliebigen Aktion animieren möchte. Beim Extro reichen ein paar bunte Farben in der Regel schon aus, um ihn zu motivieren. Beim Intro muss man dagegen massiv in die Trickkiste greifen, will man ihn hinterm Ofen hervorlocken. Der Intro kann lange geheimnisvoll und sogar intelligent wirken, wenn er es sich verkneift, den Mund aufzumachen. Der Extro spielt ihn locker an die Wand – aber nur eine Zeitlang, bis letztendlich doch auffällt, dass er nur heiße Luft von sich gibt. Um mit einem Intro zu zanken, muss man beide Parts des Streitgesprächs in verteilten Rollen selbst übernehmen. Konflikte mit Extros sind, wen wundert’s, ein dramatischer Selbstläufer.

Der Extro ist glücklicher als sein Extrem. Das behauptet er jedenfalls immer, sobald ihm jemand zuhört. Der Intro definiert dagegen, was denn „Glück“ sei, und entscheidet sich dann für „Unglück“. Das passt besser zu den dezenten Farben, die er gern trägt.

oben oder unten

oben oder unten

In der Genesis der neuseeländischen Maori liebt Rangi, der Himmel, Papa, die Erde. Sie liegen in inniger Umarmung umschlungen, und Papa gebärt viele Söhne. Irgendwann wollen diese dem Dunkel der elterlichen Umarmung entkommen und trennen die Beiden in einem Akt postpubertärer Rebellion, der hier nicht weiter interessiert. Nur dessen Ergebnis: Der Himmel, Mann, liegt oben, die Erde, Frau, liegt unten.

Dies wird in der Missionarsstellung imitiert, die wir Europäer – zusammen mit mieser Küche, fiesen Krankheiten und übler Gottesfurcht – in „aller Herren Länder“ getragen haben. Oder war „Mann oben – Frau unten“ schon zuvor dort bekannt? Schließlich soll es sich dabei um die einfachste und folglich allererste Sexstellung überhaupt handeln. Die Fraglichkeit dessen zeigt das Paarungsverhalten anderer Tiere, wo Mann hinten – Frau vorn bevorzugt wird. Als einzige Ausnahme sehen Primaten wie die sexfreudigen Bonobos oder Flachlandgorillas einander beim Sex gelegentlich in die Augen.

Was ja auch oft als einer der Vorteile der Missionarsstellung genannt wird: Man erzeugt durch Blickkontakt reichlich Intimität, man kann sich küssen und sieht nicht viel vom Körper des anderen (was nun ein Vorteil sein kann oder auch nicht). Der Akt an sich ist nicht so anstrengend wie manch andere Sexstellung, zumindest nicht für die Frau, und für alles andere außer eine lustvolle Klitorisstimulation bestens geeignet. Es sei denn, der Mann ist sehr schwer und / oder sehr faul. Oder die Frau legt Wert auf Bewegungsfreiheit und Gestaltungsspielraum. Diese auch als „Mama-Papa-Stellung“ bekannte Position ist übrigens auf dem Papier die einzig legale Sexstellung in Florida. Ernsthaft.

Den Begriff „Missionarsstellung“ prägte „Master of Sex“ Alfred Kinsey, der den Anthropologen Malinkowski missverstanden hatte. Wahr ist, dass sich laut dessen Bericht ein Südseevolk über die einfallslosen Sexspiele der Missionare mokiert hat. Die Insulaner nannten die Stellung aber übersetzt „Die Frau kann nicht mitmachen“, was es so ziemlich auf den Punkt bringt. Als unschickliche „Missionarssitte“ schmähten sie allerdings nicht den Geschlechtsakt, sondern vielmehr das Händchenhalten in der Öffentlichkeit. Die Frau unten – Mann oben-Position ist sicherlich die geläufigste in unseren patriarchalischen Gesellschaften. Sie müsse, so liest man oft, beileibe und -lende nicht langweilig sein, sofern man sie durch Kisseneinsatz oder korrekten Schenkelwinkel aufpeppt.

Zudem illustriert sie auf ziemlich unprätentiöse Art den landläufigen Ausdruck „eine Frau flach legen.“ Wer unten liegt, der unterliegt. Beim BDSM hat „top“ und „bottom“ eine grundlegend andere Bedeutung. Wer wen beim Liebesspiel dominiert, steht hier von vornherein fest. Hauptsache, beide (oder: alle) Beteiligten haben ihren Spaß – unabhängig davon, wie dieser, in einen gesellschaftspolitischen Kontext übersetzt, interpretiert werden könnte. Der Mann, so legen manch Kritikerinnen nahe, knie bei der Missionarsstellung vor der eigenen Erektion statt vor der Göttin. Jede Frau, die auf dem Rücken liegend genießt, bestätige die Macht der Phallokratie. Im Bett findet also regelmäßig ein Kampf um soziale Unter- oder Überlegenheit statt. Hinterher dann der Kampf um die Bettdecke.

Und andersherum? Ein „richtiger Mann“, liest man in den Foren, positioniert sich beim Sex oben. Das setzen wohl vor allem die Frauen voraus, wie es aussieht. So schreibt eine: „Ein Mann, der ständig nur unten liegt und mich machen lässt, wäre mir langweilig.“ Dabei liegt auch ein Mann gern mal unten, ohne sich gleich seiner Männlichkeit beraubt zu fühlen, wie die Kommentare der Gliedträger nahe legen. Man denke an die Abbildungen des Kamasutra, bei denen kleine dicke Paschas sich liegend von grazilen Tempeltänzerinnen verwöhnen lassen. (Zumal ja auch ihr Bauch den akrobatisch mehr herausfordernden Stellungen im Wege stünde.) Doch es steht zu bezweifeln, dass die sich oben Abmühende tatsächlich die Überlegene ist.

Ein paar einfache Faustregeln können hier Abhilfe schaffen. Bei Sex im Freien (Insekten, Unterholz…) liegt der Mann unten. Beim Sex im Wasserbett liegt die Frau unten. Wer Knieprobleme hat, darf die Beine lang machen. Wer die Decke nach Spuren von Holzwürmern absuchen möchte, liegt unten. Wer über den Kopf des Partners hinweg ein wenig fernsehen möchte, kommt nach oben. Wer doppelt soviel wiegt wie der Partner: Runter! Und wer gleich nach dem Akt das Weite suchen will, statt über sexuelle Emanzipation zu diskutieren, bleibt besser oben.

Werdet laut, Ihr Schlampen!

Werdet laut, Ihr Schlampen!

oder: Verbale Energien sinnvoll nutzen

 

Erinnert ihr euch noch an die guten alten Zeiten? Damals, als Frauen gesehen, aber nicht gehört werden sollten? Eine „Dame“ hatte kultiviert zu sein: Sie sollte nicht die Stimme erheben oder widersprechen, sie durfte auf keinen Fall die Rede an sich reißen und sie musste wissen, wann sie zu schweigen hatte. Laut werden war Sache der vulgären Frauen der Unterschicht: Waschweiber und Fischhändlerinnen, Dirnen und Tratschmäuler.

Wie lang mögen diese Zeiten vorbei sein, mag man und frau sich fragen – ohne zu erkennen, dass wir noch mittendrin stecken. Inzwischen, ganz klar, zählt die Stimme einer Frau, sie darf Rederaum für sich beanspruchen und ihre Meinung vertreten. Aber laut sollte sie dabei nach wie vor nicht werden – und schon gar nicht ausfallend. Ein Blick auf die üblichen „Gesprächsrunden“, ob im Fernsehen oder realen Leben, in politischem, kulturellen oder beruflichem Umfeld, zeigt, dass aggressives Sprechverhalten einem Mann zugestanden – oft, so drängt sich die Vermutung auf, sogar abverlangt – wird. Er nimmt souverän den Rederaum ein, der ihm gebührt – auch dann, wenn der ihm nach den Regeln von Fairness und Höflichkeit gar nicht zustünde, etwa, wenn er anderen Gesprächsteilnehmern ins Wort fällt oder seine Zeit über Gebühr ausdehnt.

Doch eine Frau, die verbal offensiv auftritt oder, bewahre, gar mal ein vulgäres Wort gebraucht, ist sofort unten durch. Sie hat sich als „Mannweib“ diskreditiert, als „aggressive Emanze“ – und selbst, wenn sie die besseren Argumente hat, wird sie nicht mehr ernst genommen. Ironischerweise kann eine Frau mit denselben besseren Argumenten, wenn sie allzu „feminin“ auftritt (zurückhaltend, mit leiser, hoher Stimme, höflich), ebenfalls nicht punkten. Selbst, wenn sie sich mit subtilen verbalen Spitzen als die intellektuell Überlegene beweisen könnte, geht das meist im lauten, hektischen Rhythmus des Gesprächs unter. Da beißt die Maus keinen Faden ab: Eine Frau hat es schwer, sich Gehör zu verschaffen, wenn sie nicht gerade in einem kuscheligen Kollegenkreis unterwegs ist, wo sich alle an die Regeln solider Gesprächskultur halten oder einen „talking stick“ herumreichen.

Dieser soziale Druck hat sonderbare Begleiterscheinungen. Zum einen fällt auf, dass es sehr oft gerade andere Frauen sind, die ihre Geschlechtsgenossinnen abstrafen, wenn diese aus dem ihnen zugestandenen Raster fallen: Ganz schön ordinär ist die Schlampe geworden, die scheint es ja nötig zu haben.

Zum anderen geraten selbst starke Frauen so unversehens in die Rolle eines Opfers, wenn sie sich hinterher über diese Dynamik beschweren, die sie, solange sie selbst im Podium saßen, nicht angesprochen oder ausgehebelt haben. „Er hat sich angemaßt, für uns Frauen zu sprechen“, klagt sie, wenn es zu spät ist. Sorry, Süße, sage ich dann, aber du hättest halt auch mal deinen Mund aufmachen sollen. Aber ich kam doch gar nicht zu Wort! Hätte ich etwa so rumschreien sollen wie er? Das liegt mir nun wirklich nicht.“ Tja, Pech. Aber auch verständlich: Ruckzuck ist der Ruf ruiniert, und mit einer Reputation als Waschweib kann frau sich nur schwer behaupten.

Die besondere Kraft, die in einem derben KRAFTausdruck steckt, versagen wir Frauen uns deshalb allzu oft. Fluchen wie ein Bierkutscher, das ist das ultimative „Lautwerden“ – und wehe dir, wenn du dir diese belebende Energie des befreiten Abkotzens einmal anmaßt! Du spürst, wie deine Zuhörer zusammenzucken und unsichere Blicke austauschen. War die nicht eben noch ganz nett?, hörst du sie denken. Das ist doch eine Akademikerin! Hat sie was getrunken? Wohlgemerkt, ich spreche hier nicht vom medienwirksamen Kalkül, das hinter dem unflätigen Auftreten von Popsternchen, die ihr Image ändern wollen, oder C-Promis in entwürdigenden TV-Formaten steckt. Ich spreche von unser aller Alltag, der die soziale Schmiere eines gezielt eingesetzten Vulgarismus‘ durchaus gebrauchen könnte. Wir Frauen kennen und hassen alle jene Situationen, wo wir auf plumpe Anmachen oder massive Ungerechtigkeiten nicht mit einem verbalen K.o. reagiert, sondern versucht haben, ihnen auf „damenhafte“ Art zu begegnen. Ganz schwach.

Deshalb sage ich: Werdet laut, ihr Schlampen! Ganz gleich, welchen IQ, sozialen Status oder Bildungsstandard ihr im Kreuz habt. Ganz gleich, ob der laute Kerl euch gegenüber ein Generaldirektor, „Schöngeist“ oder emeritierter Wichtigtuer ist. Seid nicht leise, nur weil mann euch sonst eure Weiblichkeit absprechen könnte. Wenn ihr wirken wollt, wenn ihr gehört werden wollt, wenn es euch wichtig ist –

DANN WERDET VERDAMMT NOCH MAL LAUT!

(erschienen in Zeitpunkt Nr. 152, November 17, www.zeitpunkt.ch)