Checkliste für die Wiedergeburt

Checkliste für die Wiedergeburt

Hier bin ich also wieder mal … im entspannten Zustand zwischen Dies- und Jenseits, wo ich frisch und frei bin, weil dieser lästige Körper nicht mehr an mir klebt wie ein zentnerschwerer Kaugummi an der Schuhsohle. „Wer braucht den schon?“, frage ich immer wieder meinen Seelenführer. Und immer wieder erklärt er (oder es? Wir sind hier ziemlich geschlechtslos) mir geduldig, dass ich ohne Körper beim großen Spiel auf der Erde nicht mitmachen kann. Ich muss also immer wieder meine zeit-, grenzen- und makellose Seele in so eine fehlerhafte, schwere und stinkende Hülle zwängen, die unglaublich schnell kaputtgeht, auf die es keine Garantie gibt und die eh von Haus aus nicht lange hält. Fies!

Wir nennen diese Zeit zwischen Zeugung und Wiedergeburt übrigens „Bardo“, so ganz offiziell. Ich hab das am Anfang falsch verstanden und sage seither immer absichtlich „Bordeaux“, um meinen Seelenführer ein wenig zu ärgern. Es ist so ausgeglichen, dass ihm das nichts ausmacht. Jaja, wenn ich nicht immer wieder auf die Erde runter müsste, dann wäre ich auch ausgeglichen, kein Kunststück!

Ich muss aber wieder eine Runde machen, weil meine Seelenaufgabe noch nicht erfüllt ist: Für mehr Liebe in der Welt sorgen, auch wenn die Leute keinen Bock darauf haben. Vorletztes Mal hab ich geschludert, war in einer Sekte der freien Liebe, und unsere letzte Orgie endete mit Massensuizid. Letztes Mal war ich dann zu vorsichtig und landete auf einer einsamen Südseeinsel, wo es außer ein paar Kokosnüssen nichts zu lieben gab.

Deshalb hab ich diesmal eine Checkliste geschrieben, um einen optimalen Start zu haben. (Obwohl: Wie optimal kann der schon sein, wenn man als schreiendes und scheißendes Baby auf die Welt kommt, das von allen nach Belieben herumgeschleppt und von niemandem ernst genommen wird? Entwürdigend, finde ich.)

Geschlecht: Männlich, ganz eindeutig! Ist schon zu lange her, dass es cool war, eine Frau zu sein. Obwohl … könnte auch sein, dass die Männerdominanz jetzt doch auf dem absteigenden Ast sitzt. Ich geh auf Nummer sicher: Transgender.

Eltern: Diesmal nur einen Papa, hab immer noch an den Beziehungen zu meinen letzten Müttern zu knabbern. Aber bitte einen, der auch kochen kann! Am besten einen Österreicher, wegen der Mehlspeisen.

Geburtsort: Schwierig, denn ich schlampe oft beim Recherchieren, und „exotisch“ bedeutet meist nicht Cocktails am Strand, sondern Armut und Elend. Und bloß nicht nach England so kurz vor dem Brexit! Vielleicht wieder mal nach Atlantis? Da war’s immer recht nett.

Kultur: Keine Christen, keine Juden, keine Hindus, keine Moslems! Buddhismus ist mir gerade zu hip, das nehmen ja alle alten Seelen. Überhaupt keine Religion diesmal, und ja keine Sekte – den freien Heiden gehört die Zukunft, die sind keine Fanatiker.

Geburtszeit: Ich würd gern im Sternzeichen Löwe geboren werden, aber wenn es nicht punktgenau hinkommt, werd ich Krebs oder Jungfrau, da ist mir das Risiko zu hoch … also Steinbock!

Körper: Alles, was man braucht, und exakt dieselbe Hautfarbe wie die herrschende Klasse, um Stress zu vermeiden … vielleicht ein bisschen größer als alle anderen, dann sieht man mehr. Aber nur ein bisschen größer, nicht so wie seinerzeit in Lilliput!

Charakter: Vielleicht sollte ich diesmal weniger sturköpfig sein und dafür freundlicher im Umgang mit anderen? Ob das meine Mission in Sachen Liebe unterstützen könnte?

Zu verfolgende Absicht: Andere Menschen bedingungslos lieben, ohne dafür etwas zu erwarten. (Das meint mein Seelenführer. Ich finde ja … aber egal!)

Erinnerungen (falls ich meine Absicht aus den Augen verliere): Ich verliebe mich in Leute mit Psychosen, Zölibat, Ehepartner … oder lande in einer Dating-Show – oder erhalte eine Email von meinem Seelenführer.

Treffen mit Kumpels: Weil das letztes Mal ja so in die Hose (bzw. den Bastrock) gegangen ist, werd ich mir jetzt isoul ins Zellgedächtnis installieren. Damit kann man mit den alten Freunden viel leichter in Kontakt kommen, heißt es. Einmal in Frankreich bin ich meinen Seelengefährten erst dann begegnet, als mein Kopf in der Guillotine lag – während er den Henker gab. Das war ein kurzes Treffen.

So, schwups bin ich im neuen Körper, als Fötus im Mutterleib. Daumen drücken, dass alles klappt! Aber halt … wo sind die Daumen? Ich habe gar keine! Dafür aber … AAAAH! Ich habe doch einen Punkt auf der Liste vergessen: Als welche SPEZIES ich reinkarniere! Nun, ein Leben als Hamster zwischendrin ist ja auch nicht zu verachten.