Ich schreibe, und das war schon immer mein Traum. Sitze hier am Tisch, während die Sonne auf mich fällt, und hacke in die Tastatur meines treuen Laptops. Der VHS-Kurs „Maschineschreiben“ hat sich letztendlich neben dem Autofahren tatsächlich als das einzig Nützliche erwiesen, das ich als Teenager gelernt habe. Hätte ich dieses Argument nur schon in der Schule gehabt, denke ich, während ich immer noch in die Tastatur meines treuen Laptops hacke.

Die Sonne ist längst ums Haus herum gewandert, und ohne sie fühlen Laptop und ich uns doch recht allein. Dennoch sitze und schreibe ich unverdrossen in meiner eigenen kleinen virtuellen Welt: Immerhin werde ich dafür bezahlt, weshalb ich vermute, dass ich auch gelesen werde, von irgendjemandem.

Irgendjemandem, der keine Leserbriefe schreibt – oder nur sehr gelegentlich einmal. Ja glauben denn die Leute, dass sie aus dem Schneider sind, wenn sie für ein Magazin bezahlt haben? Ist ihnen nicht klar, welche Verpflichtung sie mit dem Lesen eines Artikels dessen Autor gegenüber eingehen, und welche nicht unerhebliche Verantwortung sie damit tragen? Wo bist du, Leser, und warum rührst du dich nicht?, denke ich, während der Abend graut. Ich erwarte ja keine Pralinen oder flüssigen Aufmerksamkeiten, keine Gedichte oder Ständchen unter dem Fenster (…meiner Parterre-Wohnung – da wär eh das Gefälle zu niedrig). Ist es denn zu viel verlangt, dass du mich auch einmal mit einem Feedback bedenkst – mich, die ich allein hier sitze und schreibe, während sich die Sonne um mich dreht?

Dieses Gefühl teilen wohl alle Schreiberlinge. Wir wollen nicht nur gelesen werden – wir wollen auch WISSEN, dass wir gelesen werden! Wir wollen wissen, wie beim realen Menschen unsere fantastischen Formulierungen, virtuosen Wortneuschöpfungen und bizarren Bilder beim Publikum ankommen (ganz abgesehen von den abwegigen Alliterationen). Doch weil das Print-Publikum beharrlich schweigt, sah ich mich gezwungen, mir anderswo das so bitter benötigte Backup einzuholen. Meine Freunde konnte ich nicht länger dazu zwingen, meine Texte zu lesen, während ich sie mit Argusaugen dabei beobachtete – auf Dauer erträgt das die beste Freundschaft nicht.

Also suchte ich die Poetry-Slam-Szene heim. Ging dorthin, wo alle anderen zu 80 Prozent männlich und zu 100 Prozent halb so alt sind wie ich. Das erfordert gesundes Selbstvertrauen – oder doch wenigstens die Fähigkeit zur Selbstironie. Ich überlegte, ob ich dem Spruch „Kommen die zum Sterben jetzt schon vors Mikro?“ entgegenwirken sollte, indem ich mir den Titel „Die Slam-Seniorin“ verlieh – kam dann aber doch davon ab. Einfacher schien es mir, gebildeteres, kultivierteres, sprich: faltigeres Publikum zu suchen. Was ich dann auch tat und fand. Ich werte es als Erfolg, wenn die Leute hinterher nicht schreiend weglaufen, ohne sich wenigstens ein Lesezeichen aufdrängen zu lassen.

Ganz ehrlich: Es kostete mich massive Überwindung. Ich habe kein Problem damit, vor hunderten von fremden Menschen zu sprechen. Aber die eigenen Texte lesen? Da lehnt man sich doch sehr weit aus dem Fenster. Am Anfang zitterte meine Hand, die das Papier hielt, wie Espenlaub – so sehr, dass ich das Publikum beruhigte: „Das ist kein Parkinson, Leute, sondern Adrenalin. Die erste Reihe könnte mir da helfen, indem sie immer wohlwollend nickt, wenn ich hochgucke.“ Was die erste Reihe dann auch gerne tut – und mehr als die erkennt man von der Bühne aus ohnehin nicht. Inzwischen habe ich die zitternde Hand bei vielen Kollegen in unterschiedlichen Ausprägungen bemerkt. Das gehört wohl zum Job.

Ich lernte: Kein Bier vorher trinken, sonst riskiere ich, die eigene Pointe durch herzhaftes Rülpsen zu verhauen. Keinen Wein vorher trinken, sonst lese ich so schnell, dass keiner mehr mitkommt. Kein Wasser vorher trinken, sonst legt sich die Aufregung nicht und ich muss angstpinkeln. Inzwischen fühle ich mich fast schon als Profi.

Wer braucht da noch Leserbriefe, wenn es Freigetränke für die Vortragenden gibt?

DAS ist das Leben. DARÜBER kann man schreiben!

und sich dann anhören, ob’s den Leuten gefällt.