Immer wieder die alten Muster: Martina P. aus M. trifft sehr impulsiv eine Entscheidung. Mit der Realität derselben konfrontiert, hinterfragt sie ihre mentalen Kapazitäten. Etwas weniger spontan, aber immer noch recht zügig revidiert sie die Entscheidung, koste es was es wolle.
Um dann am Tag darauf festzustellen, dass sie an der ersten Entscheidung gar nichts verändern möchte, weil es im Grunde doch eine gute war. Und dann steht sie mit zwei Optionen dar, die sie völlig hin- und herreißen.
So ging’s mir, als ich mich entschied, meine kuschelige Workaway-Familie zu verlassen, um gleich für fünf Tage und noch dazu über Silvester an die Küste zu gehen. Nach Almeria, wo es auch eine maurische Festung gibt, die ich inzwischen ja ganz wunderbar finde. Und wo es nachts immerhin noch satte 10, 12 Grad hat, Urlaub sozusagen nach der Kälte in den Bergen.
Kaum angekommen … große Stadt, was soll ich denn hier, und das Internet verrät, dass zum Jahreswechsel rein gar nichts los ist und sogar die Bars zu sind. Außerdem bewölkt! Also ruckzuck zwei Nächte in Granada gebucht (nicht stornierbar, denn Storno, wer macht denn sowas?) – und hurra.
Am anderen Morgen: Die Sonne lacht, die Alcazaba strahlt, die Altstadt ist verwinkelt und die Leute scheißen sich nichts. Sie tolerieren Touristen (gab noch zwei, drei andere außer mir, glaube ich), aber es interessiert hier nicht weiter. Es gibt einen ganz wunderbaren Strand und ein paar ganz wunderbare Tapaslokale.
Tapas töten mich! Ich hab ewig gebraucht, um das System zu durchschauen und schneller satt als betrunken zu werden. Manchmal ist so eine Tapa eine Mahlzeit für sich, manchmal ein Hauch gebratener Fisch mit einer Idee Brot dazu, sehr oft Oliven, machmal auch ein ganzer Salat. Nennt sich alles Tapas und wird unter sechs, sieben verschiedenen Kategorien angeboten – jeweils ohne Preis dahinter. Weil man in der Regel für das Getränk bezahlt und dann eine Tapa (willkürlich oder nach Wahl) dazubekommt. Da kriegst du für 4,30 € ein schönes Glas Wein samt gebackener Kartoffel. Oder für 2,50 € ein schönes Glas Wein samt Oliven, Brot und in Öl eingelegten Käse, der angeblich nur reif und nicht schon jenseits der Genussbarkeit ist. Manchmal auch ein schönes Glas Cola oder ein Cafe con leche, denn ganz ehrlich, ich kann soviel gar nicht trinken, wie ich gern essen möchte. Und nur Anfänger bestellen „una cerveza“, statt „una cerveza pequeña“ zu spezifizieren. Böse Falle.
Manchmal geht es so schnell und umtriebig zu wie an der Börse, alle reden laut durcheinander, während scheinbar unmotiviert Teller hier- und dahin über den Tresen geschoben werden. Da kriegt man schnell mal was ab, was man gar nicht will. Wie gesagt: Sie scheißen sich nichts. Und: Man sollte das Lokal kennen, in dem man Tapas bestellt.
Almeria, diese Stadt am Meer, an drei Seiten von Wüste umgeben, hat mein Herz erobert. Eine echte Alternative für Winterflüchtlinge, denen Asien zu weit ist. Könnt mir durchaus vorstellen, hier mal wieder herzukommen. Ins neue Jahr gerutscht bin ich am Strand, denn tatsächlich hatte ich keine offene Bar gefunden. Erst nach dem Kirchengebimmel (machen sie sehr gern hier) kamen die Leute wieder aus irgendwelchen Löchern auf die Straße gekrochen. Vielleicht kann ich dieses Rätsel ja nächstes Jahr lösen.
Jetzt bin ich jedenfalls erstmal auf dem Dach der Welt. Und zwei Nächte Granada muss ich vor Abflug auch noch irgendwo unterbringen … 😉
Da stehe ich nun im Olivenbaum und angle die letzten Früchte von den Ästen. Manche sind so dick und dunkel wie besonders große Weintrauben – doch lasst euch nicht täuschen, roh schmecken sie widerlich! Danach wird jede einzelne Frucht eingeschnitten und für mindestens drei Wochen zum Entbittern gewässert, wobei das Wasser täglich gewechselt wird. Im Anschluss kann man sie in Salz, Öl oder Lake einlegen. Massiver Arbeitsaufwand, der mir so nicht bewusst war.
Meine erste workaway.info-Erfahrung: Ich arbeite auf dem Land von Jo und Jake, Straßenkünstler aus London. Die beiden können die Arbeit hier nur mit Hilfe von workawayern stemmen: 25 Stunden die Woche für Kost und Logis. Die Logis ist eher auf der rustikalen Seite, und nachts wird es eiskalt hier in den Bergen. Dafür ist die Kost von Jo umso köstlicher. Meine beiden workaway-Brüder sind Stephen aus Kanada, ein Mann mit einer bewunderungswürdigen Haltung, von der ich mir viel abschauen könnte, und Arthur aus Frankreich, der sich easy-go-lucky durch die Welt jobt, weil er Kälte und Dunkelheit so wenig mag wie ich.
So eine Erfahrung bringt mir kollegenloser Freiberuflerin einige Erkenntnisse – die ich nicht unbedingt hier darlegen mag 😉 Aber innerhalb kürzester Zeit fühle ich mich als Teil der Familie, mache sogar Freunde im Tal. Das Tal, das ist el Morino, einer der drei Orte rings um Orgiva, in dem sich „Hippies“ und Aussteiger niedergelassen haben; manche in Häusern oder Schuppen wie meine Gastgeber, andere in Zelten, ausrangierten Schulbussen, Caranvans. Einige haben Paradiese geschaffen, andere kommen gerade so über die Runden. Je tiefer man diese Schlucht in die Berge hinabgeht, desto weniger dürr und knochentrocken wird es, und ganz am Grund, wo ein Fluss sprudelt, wirkt es wie in einer völlig anderen Welt. Albercas habe alle – riesige Wassertanks, die wie Swimming Pools anmuten. Die karge Schönheit der Natur und das erstaunliche Licht nehmen ein, aber mich dürstet es bei diesem Anblick.
Die Feiertage verlaufen familiär: Heiligabend ein Ausflug zu den heißen Quellen von Santa Fé (bei Granada), am Boxing Day nehmen uns Jo und Jake zu Freunden mit, deutsch-englischen Expats, die eine Schnitzljagd organisieren und Stephen und mich an einen separaten Tisch setzen. Dank des Einsatzes meines kanadischen Bruders sind wir dennoch die ersten am Buffet (‚Amateure‘, sagt er mit Blick auf Jo & Jake, die bis zuletzt warten) – und wandern danach eineinhalb Stunden „nach Hause“ zurück, weil kein Straßenverkehr an den Feiertagen.
Und familiär heißt auch: Manchmal geht man sich ein wenig auf die Nerven. Ich frage mich, was es mit einer Beziehung macht, wenn jeder potentielle Streit durch die Anwesenheit fremder Gäste im Keim erstickt werden muss. Wäre mal eine interessante Betrachtung für die Psycho-Studierenden unter den Lesenden 😉
Unterm Strich: Oliven pflücken, zwei Hochbeete bepflanzen und Schreddern – diese Art, ein Land kennenzulernen resp. Urlaub zu machen, hat echt was. Und ich werde demnächst selbst als Workaway-Host meine Gartenlaube von willigen Gästen streichen lassen!
seit einer guten Woche bin ich jetzt schon hier unterwegs – erst Marbella, dann Granada, jetzt ein kleines Kaff in den Bergen – Orgiva. Einiges, was mir hier begegnet, kommt mir tatsächlich spanisch vor. So hatte ich nicht erwartet,
dass die Bäume auf den Plätzen voller (bitterer) Orangen hängen und die Granatäpfel an den Zweigen aufplatzen
dass die Tapas keine kleinen Häppchen sind, sondern manchmal so groß wie eine ganze Mahlzeit
dass sie in Spanien zwar Gemüse für halb Europa anbauen, SOGAR IN DER ALHAMBRA – sich aber beharrlich weigern, es in Lokalen zu servieren
dass die Alhambra dermaßen überwältigt, die Stadt einerseits so lebhaft und modern ist und andererseits unsichtbare Nonnen hier selbstgemachtes Naschwerk verkaufen
dass ich den Souvenir-Shopping-Impuls so krass unterdrücken konnte, dass ich Granada tatsächlich ohne einen einzigen Kühlschrankmagneten verliess
dass ich nochmal zurück nach Granada muss, um Magneten zu kaufen. Für den Kühlschrank.
Die Leute sind freundlich und hören so geduldig zu, dass ich mit meinem Pidgin-Spanisch ganz gut durchkomme. Die Tage sind sonnenbrand-sonnig, die Nächte arschkalt. Ich frage mich, ob ich mich hier nicht in der Jahreszeit vertan habe. Doch dann wieder: Ich bin in einer anderen Welt. Und das, endlich wieder nach der langen Auszeit, macht richtig Spaß.
Meine Mutter ist eine reinblütige Schwäbin – und wer mit diesem Kaliber von Mater schon einmal konfrontiert war, wird sofort verstehen, was ich damit meine. Die „jüdische Mutter“, die in unseren Breiten vor allem durch Paul Watzlawicks mittlerweile legendäre Anleitung zum Unglücklichsein bekannt wurde, ist ein Waisenmädel im Vergleich mit dieser Spezies. Die schwäbische Mutter ist hart, unbestechlich, pragmatisch und von einer gewissen Originalität in der Wahl ihrer Waffen. Sie verhätschelt ihren Nachwuchs nicht, denn sie weiß: Nur die Harten kommen in den Garten. Sie orientiert sich an dezidierten Wertvorstellungen und ist sich der „Wer grüßt wen zuerst“-Hierarchie in der Nachbarschaft jederzeit bewusst. Sie geht zur Kirche, aber weniger aus spirituellen denn praktischen Überlegungen, denn immerhin hat sie ihr Leben lang Kirchensteuer bezahlt und will den Lohn Gottes noch auf Erden in Form einer soliden Beerdigung einkassieren. Sie spricht breites Schwäbisch und hat gern Hohn übrig für jene, die einen anderen Dialekt pflegen.
So rief einmal ein Kollege aus Bayern bei ihr an, um nach mir zu fragen. Er hatte einen gewissen lokalen Zungenschlag. Sie sagte unverfroren zu ihm: „Tut mir leid, ich verstehe sie nicht. Ich spreche nur Deutsch.“ Noch Monate später hat sie über diesen Witz hämisch geschmunzelt.
Wenn sie mich bittet, ihr DEN Butter zu geben, und ich sie behutsam korrigiere: „DIE Butter, Mutter“, dann lächelt sie und meint: „Hat sich doch gelohnt, dich studieren zu lassen.“
Meine diesbezüglichen Leistungen (ein phänomenaler Magisterabschluss) schmäht sie natürlich gern. Neulich hab ich sie dabei ertappt, wie sie im Gespräch mit einem Nachbarn, der sich über die vielen Schularbeiten seiner Sprösslinge beklagte, behauptete, dass ICH als Kind ja NIE Hausaufgaben gemacht habe. Eine dreiste Lüge, deren Ausmaß sie nicht kümmert. Sie hält eben nichts davon, wie gewisse andere Leute die ranzige Brut in Gold zu tauchen und zu beweihräuchern. Einmal schwärmte eine Lehrerin von mir ihr gegenüber, ihre Tochter – damit meinte sie mich! – sei eine echte Bereicherung ihres Unterrichts. Meine Mutter konnte es sich nicht verkneifen, darauf keck wie folgt zu antworten: „Reden wir vom selben Kind?“
Einmal, ein einziges Mal in meinem erwachsenen Leben, bin ich in den falschen Zug eingestiegen. Grund war eine unglückliche Verkettung widriger Umstände. Naiv, wie ich damals noch war, erzählte ich meiner Mutter davon. Trotz ihres schlechten Gedächtnisses kann sie sich bis heute daran erinnern, dabei ist es mindestens schon 20 Jahre her. Bei jeder
Meine schwäbische Mutter Martina Pahr 1
Gelegenheit schmiert sie mir es auf den Briegel (schwäbische salzige Gebäckspezialität). Einmal verteidigte ich mich mit den Worten – damals arbeitete ich noch als Reiseleiterin: „Hey Mam, sie vertrauen mir wildfremde Menschen an, damit ich sie am anderen Ende der Welt begleite und sicher nach Hause bringe.“ Worauf sie entgegnete: „Darüber wundere ich mich auch jeden Tag.“ Ist ja wahr. Ich reise allein bis nach Australien und zurück, streune durch Indien und fliege nach Mittelamerika – aber in meiner Heimatstadt bin ich ganz offensichtlich nicht einmal in der Lage, mit dem Bus zum Bahnhof zu fahren. Wohlgemerkt, sie sorgt sich nicht. Sie macht sich nur darüber lustig.
Von ihren Nachbarn hält sie in der Regel nicht viel, ebenso wie von anderen Menschen. Und meistens, sagt sie, habe sie damit Recht. Eine junge Nachbarin sprach sie einmal wie folgt an: „Sie, ihr Mann, also der ist mir schon suspekt. Der ist immer so munter und freundlich, und grinst immer so, wenn er grüßt…“ Das grundlegende Misstrauen hindert sie nicht an gewissen Sympathien wenigen Auserwählten gegenüber. Ihre Gunstbezeugungen haben meist die Form von kleinen Neckereien. Beliebtes Ziel war einmal ein spezieller Nachbar, dem es seit der Scheidung von seiner Frau eh viel zu gut gehe, wie sie befand, er sei jetzt immer so gut gelaunt. Natürlich gönnt sie es ihm, aber sie muss wissen, ob es echt ist, und an der Oberfläche kratzen. So freut sie sich bis heute darüber, dass er extrem besorgt reagierte, als sie ihn einmal fragte, ob die Früchte ihres Kirschlorbeers wohl giftig seien. Ihn fragte, während sie dabei auf irgendetwas herumkaute.
Dabei verfügt meine Mutter durchaus über eine besondere Art des Einfühlungsvermögens. Sie meint, dass Blumen nie so schön blühen, wie wenn ihr Besitzer im Sterben liegt. Als eine Freundin einmal ihren Zustand beklagte, versetzte meine Mam nur lapidar: „Stellen sie sich nicht so an. So kümmerlich, wie ihre Blumen sind, kann’s ihnen gar nicht schlecht gehen.“
Ihre Gesundheit ist im Alter natürlich eine Sache für sich. Ihrer Ärztin wirft sie vor, sie so lange auf Diabetes getestet zu haben, bis sie die Krankheit dann auch wirklich hatte. „Sind sie jetzt zufrieden“, wollte sie wissen, als ihr das Testergebnis präsentiert wurde. Das Alter kotzt sie an, sagt meine Mutter. Ihre Überlegungen, dem irdischen Dasein vor Zeiten ein Ende zu bereiten, sind deshalb recht vielfältig. Zum Beispiel liebäugelte sie eine Zeitlang mit einem Organspenderausweis, „denn dann werden die mich schon nicht so lange leben lassen.“ Als ich sie darauf hinwies, dass eine Leber ihres Alters nicht unbedingt allzu begehrt sei, überlegte sie: „Dann bestell ich mir einfach Essen auf Rädern.“ Mittlerweile hat sie diese Entscheidung in die Hände eines gnädigen Schicksals gelegt. Ihr Keller sieht aus wie ein Abenteuerspielplatz, den selbst ein Indiana Jones nur mit viel Glück lebend verlassen wird.
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Sie dagegen krabbelt immer wieder wohlbehalten die mit Todesfallen vollgestellte Kellertreppe herauf. Mir schlägt jedes Mal das Herz bis zum Hals, wenn ich es selbst schaffe.
Neulich rief ich bei ihr an. Sie hob ab, grunzte in den Hörer: „Hmmm?“ Ich fragte: „Mam?“ „Hmm-mmm“ „Ach so“, folgerte ich scharfsinnig, „du hast grade was im Mund (eine Spülung gegen Zahnfleischbluten, wie sich später herausstellte) und kannst nicht sprechen.“ „Hmm-hmm.“
„Tja, dann reden wir halt ein andermal. Tschüss dann!“ „Hmmm.“
So beendeten wir das Gespräch. Eine Mutter, die keine schwäbische Mutter ist, hätte den Hörer unter solchen Umständen NICHT abgenommen.
Muss ich noch mehr sagen, oder verstehen Sie jetzt, was ich meine?
Gerade haben wir es wohl alle ziemlich schwer, in der Welt zurechtzukommen, und brauchen Orientierung. Ein modernes Navi muss deshalb mehr können als „gleich halbrechts, dann schrägrechts abbiegen“ und „Sie haben Ihr Ziel erreicht“. Letzteres, möchte man meinen, kann man gerade eh ersatzlos streichen.
Der Klassiker fürs Navi sind die nörgelnden Kinder. „Sind wir bald da?“, „Ich muss mal! Und „Der hat aber angefangen“ lassen die Minuten im Stau wie im Fluge vergehen. Die Häufigkeit der Ansagen erhöht sich mit der Zeit, und wenn man dann nach Hause kommt, fühlen sich die eigenen Plagen wie Erholung an.
Wenn man das steigern will, greift man zum Hysteriker. „Brems doch!“, schreit der bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Oder „Hätten wir da nicht abbiegen müssen?“ Ein hektisches „Dreh ganz schnell um!“ gehört dazu, natürlich: „Was war das?“ in sämtlichen Variationen: „Hast du das eben auch gehört?“, „Bist du da jetzt wo drübergefahren?“ oder „Was stinkt hier denn so?“ Fulminanter Höhepunkt jeder Fahrt ist dann ein herzhaftes: „Oh Gott, wir werden alle sterben!“
Der Adventure-Scout ist dann für jene, die der Routine entkommen wollen. Man kann den Zeitrahmen eingeben, ob eine Stunde oder mit Übernachtung irgendwo in der Pampa. Der Scout schlägt permanent Abkürzungen vor – und wir alle wissen, wie so etwas endet – nur nicht, wo. In einer Frequenz, die zuvor eingestellt werden kann, würgt sich der Motor regelmäßig selbst ab, das gibt dann den Kick, ob man es noch zum Seitenstreifen schafft.
Der deutsche Tourist will vor allem eins: Nett einkehren und sich auf Parkplätzen die Beine vertreten. Davon inspiriert, macht dieses Navi auf jeden Gasthof aufmerksam, der am Weg liegt. Mehr noch: Es lotst dich dorthin. Alle paar Kilometer gibt es einen Fotostop an interessanten Plätzen wie der örtlichen Kläranlage oder dem Hofladen von Bauer Huber. Während der Fahrt erzählt das Navi dann, dass der Kaffee beim letzten Stop wirklich grauslich war, dass man Österreichern nicht trauen darf und dass so viel weniger Leute unterwegs sind als im letzten Jahr, aber immer noch zu viel.
Das antiautoritäre Navi lässt auch deine Meinung gelten: „Also ich würde hier links abbiegen, aber wenn du weiterfahren willst, ist das auch in Ordnung.“
Die Domina ist da weniger verständnisvoll: „Bieg ab, du Sau!“ „Bist du zu blöd, den Blinker zu setzen?“ Am Ende dann: „Das war’s, du nutzloses Teil. Steig aus.“
Für Action-Fans gibt’s das Fluchtauto-Navi, dass generell gegen die Fahrtrichtung in Einbahnstraßen lotst. Und für politisch Korrekte das EE, das ethisch einwandfreie:
Ich möchte in die Schwarzstraße.
Sorry, das können Sie so nicht sagen.
Wieso, so heißt die doch.
DIE, genau. Die Straße ist weiblich. Also muss es heißen: Sträßin.
Und rechts abbiegen, das geht mit diesem Navi natürlich gar nicht.
Der unzuverlässige Erzähler ist in der Literatur eine beliebte Perspektive. Denken Sie an die Blechtrommel von Günter Grass oder eigentlich alles von Dieter Bohlen. Als Navi wär er unschlagbar: „Hier dann abbiegen in den Frühlingsweg. Ja, ich weiß, dass hier Lenzstraße steht, aber das kommt im Grunde aufs Gleiche raus, oder?“ Und: „Ich erinnere mich … ich war schon einmal hier, das war 2019, oder war es 18, kurz nach der Schweinepest. Damals standen hier lauter Kühe rum.“ Und nach dem Abbiegen, das er angeregt hat, fragt er: „Ob das wirklich so eine gute Idee war?“
Sein Kollege ist der Spannungserzähler, der hat alles drauf vom unheilschwangeren Schweigen, wenn man gerade an eine unübersichtliche Kreuzung kommt, bis hin zur düsteren Antizipation: „Noch ahnte sie nichts Böses, als sie in die Straße einbog.“ ODER „Er wusste nicht, dass diese Fahrt seine letzte sein könnte.“
Sehr beliebt wird garantiert der Motivations-Coach, der dich während der Fahrt anfeuert: „Du schaffst das!“, „Mach jetzt einfach einen U-Turn, ich glaub an dich!“. Wenn du wo auffährst, tröstet er dich, dass du immerhin dein Bestes gegeben hast. Er ermuntert dich ständig zu Individualität: „Richte dich nicht nach den anderen; finde deinen eigenen Weg. Fahre, als würde niemand zusehen.“
Regelrecht therapeutisch wird es dann beim Ex-Navi. Man lässt die Freundin oder den Partner die Texte einsprechen, solange man sich noch gut findet: „Woran denkst du gerade?“, „Schatzi, hätten wir hier nicht abbiegen sollen?“, „Da, eine Parklücke. Nein, fahr weiter, da kommst du eh nicht rein.“ Oder: „Du siehst schon, dass die Ampel da vorn rot ist, Liebling?“ Später erinnert das Navi einen daran, warum die Trennung das Beste war, was einem passieren konnte.
Der Verkaufsschlager wird sicher „Dein esoterischer Wegbegleiter“. Bei der Zieleingabe erinnert er dich daran, dass der Weg das Ziel ist. Er fragt dich: „Hast du das Gefühl, vor jemandem oder etwas fliehen zu müssen?“ Und dann gibt er zu bedenken: „Du weißt ja, dass du dich selbst immer mitnimmst, wohin du auch gehst.“ Und mitten während der Fahrt bleibt das Auto dann stehen, und er will wissen: „Bist du dir eigentlich bewusst, dass du bereits am Ziel warst, bevor du überhaupt aufgebrochen bist?“
Mein Favorit: Das depressive Navi
Bei der Zieleingabe fragt er: Wozu willst du da hin?
Und später: Glaubst du, dass es da besser ist?
Wirklich?
Wir könnten hier links abbiegen, aber das macht eh keinen Unterschied.
Spar dir den Sprit. Besser noch: Nutze die Abgase. Hast du einen Schlauch im Kofferraum?