von martina | 11 Januar 2018 | unterwegs
Das Wichtigste vorab: Das Essen ist gut – aber auf keinen Fall besser als in Laos oder Thailand. Weniger scharf, und vegetarisch ist schwer zu kriegen. Die buddhistischen Vietnamesen essen nur an zwei Tagen im Monat kein Fleisch – jaja, compassion und Zeugs und Schweinefleisch! Meinen geliebten Klebreis gibt es wohl nur an einem Food-Stand in der Stadt, den ich erst noch finden muss. Dafür fuhrwerke ich mit den Stäbchen in Suppen und Reisschalen herum, dass es eine wahre Freude ist. 🙂 Und der Kaffee, auf eine Schicht von Candy Milk (mayonaisedicke, süße Kondensmilch) gefiltert, ist auch hier wirklich lecker.
Was bisher geschah: Unsere (nicht mehr ganz) jugendliche Protagonistin, die immerhin mit kalkweissen, ungeniert vorgeführten Schienbeinen beeindruckt, sah sich bei Ankunft in Saigon (so sagen die Leute hier) mit sehr Vertrautem konfrontiert. Der vierte Winter in Südostasien ist halt kein aufregendes Abenteuerland mehr, kennt man ja, hat man ja, weiß man ja schon alles. Um sich dann zuverlässig schon bei der Taxifahrt vom Flughafen SELBST übers Ohr zu hauen, weil man mit dem Wechselkurs von 1:27000 nicht zurechtkommt. Auch dort gibt es eine Pub Street, war nur einen Steinwurf von meiner Unterkunft entfernt. Nachdem ich lange Jahre Jetlag für eine Erfindung der Nackenhörnchen-Industrie gehalten habe, brauche ich doch mittlerweilse einige Tage, um in einen brauchbaren Rhythmus zu kommen. Mit dem Schlafzug bin ich dann drei Nächte später in flockigen 16 Stunden durch vielerlei Grün in die Landesmitte gefahren.
Nachdem ich seit Ankunft in Hoi An vor fünf Tagen regelrecht beängstigend produktiv war, hab ich heute einen Faulen eingelegt. Einlegen müssen, weil ich durch eine (ich vermute) Massage-Verletzung heute den immer ärger werdenden Schmerzen im linken Arm nachgegeben und das Krankenhaus besichtigt habe. Wie schon Busch schreibt über die Einschränkungen durch Schmerzen: „Einzig in der engen Höhle / des Backenzahnes weilt die Seele.“ Wenn ich auf Reisen (oder überhaupt) schwächle, ist das für mich so existentiell wie ein Männerschnupfen. Mir tut nicht nur was weh, sondern ich fühle mich verloren, niedergeschlagen, einsam, finde das ganze Leben eh überbewertet und im Grunde sinnlos …
Konsultation durch einen blutjungen und augenscheinlich übermüdeten Arzt (Party-Schaden?). Dann Physiotherapie im Beisein eines englischsprechenden Alten, der mir sagte, wann ich drücken und wann ich drehen sollte. Dank dieser und diverser Medikamentation (Yes, I am a pill popper. Gebt mir irgendwas Buntes und ich schlucke es. Hat mir bisher nicht geschadet) geht es Arm und Gemüt wieder sehr viel besser. Aber den Nachmittag, kühl mit 20 Grad und bewölkt, hab ich doch vorsichtshalber im Bett verbracht. Zuviel Produktivität verstört sonst den sensiblen Schreiberling-Organismus.
Und morgen will ich ja fit sein, weil meine lieblichen Gastgeber mich zu einer Familienfeier eingeladen haben (Todestag der Oma vor einigen Jahren, denke ich. ich werde eh schwarz tragen, weil der Rest in die Wäsche muss). Tri und Moon sind wirklich ganz entzückend, fürsorglich und liebenswürdig. Ich bin am zweiten Tag über die Gemüseinsel geradelt und war ganz begeistert von den Feldern zwischen Altstadt und Strand, wo man sich wie auf dem Lande fühlt. Und dann habe ich mich auf blöd nach long term accommodation erkundigt und bin tatsächlich sofort fündig geworden. Sie nehmen sonst 25 US$ für ein Zimmer (meins ist das erste, das hier angezeigt wird) – ich zahle 250 Euro im Monat und bin ihr allererster long term Gast überhaupt. Hier seht ihr das Ganze.
Und ein Moped für kaum ein Geld habe ich noch dazu gekriegt. Immerhin habe ich letztes Jahr schon 3 Tage auf Koh Kood Erfahrungen damit sammeln können. Da war es hügeliger, dafür kein Verkehr. Hier ist es genau andersherum: topfbodenflach – und die Leute fahren wie die Henker.
Da auch ich diesen Ruf habe, komme ich damit ganz gut zurecht und fluche recht versiert vor mich hin. Nur das mit dem Linksabbiegen bei Gegenverkehr muss ich noch optimieren: KEINESFALLS bleibt man hier, wie von zu Hause gewohnt, in der Mitte der Straße stehen, um auf eine Lücke im Gegenverkehr zu warten. Man zieht schon zuvor in einer eleganten Diagonale lässig auf die LINKE Fahrseite, das ist die halbe Miete. Heißt also, dass einem ständig einer frontal entgegen kommen kann, wenn man am wenigstens damit rechnet (weil man gerade „easy living“ vor sich hinsingt). Und wer von rechts kommend nach rechts auf eine Straße biegt, gönnt dem Restverkehr noch nicht mal einen Seitenblick. Die sehen mich schon, denken sie (nun ja, so überquere ich, wie alle, zu Fuß auch die Straßen. Bisher mit Erfolg). Es bleibt also spannend. Und gesund leben werde ich dadurch auch müssen: den Weg im Dunkeln über die lampenfreie Gemüseinsel findet man nur im stocknüchternen Zustand).
von martina | 28 Dezember 2017 | Blog
Den Extrovertierten gehört die Welt – das posaunen sie jedenfalls voll Überzeugung in diese hinaus. Laut und leutselig, entscheidungsfreudig und enthusiastisch, richten sie den Blick nach Außen und saugen ihre Energie aus sozialen Interaktionen. Sie stellen rund zwei Drittel unserer Bevölkerung – auch wenn es den Introvertierten vorkommt, als seien doch deutlich mehr dieser oberflächlichen, distanzlosen und aufdringlichen Clowns unterwegs. Die Intros dagegen leben gern in der eigenen Innenwelt, weshalb sie sich von geselligen Zusammenkünften, ja oft den Menschen an sich, ausgelaugt fühlen. Sie sind zurückhaltend und tiefsinnig, im Außen ruhig und eher passiv. Oder aber, wie es die Extros wahrnehmen: verschlossene, unfreundliche und antriebslose Sonderlinge, die ruhig mal aus sich herausgehen könnten. Es sind erstaunlich viele Tests im Umlauf, die einem verraten wollen, was zu dem Wenigen gehört, das wir spontan selbst wissen: ob die eigene Kraft in die Blüte oder die Wurzel strömt. Ob wir lieber auf dem Oktoberfest auf Bierbänken tanzen oder im Zen-Kloster für den Weltfrieden meditieren. Höchste Zeit, die Vorzüge und Nachteile der Jung’schen Typisierung dem Alltagstest zu unterziehen.
In ein gutes Restaurant würde man den Intro mitnehmen, weil er einem nichts vom Teller klaut und sich mit dem Kellner nicht wegen der Höhe der Rechnung streitet. Auf eine einsame Insel dagegen den Extro, weil er – in einem Umfeld ohne Fernsehen – einfach den höheren Unterhaltungswert hat. Der Extro ist dafür sehr wartungsintensiv: Er braucht Gesellschaft und Stimuli bis zum Abwinken, weil er sich sonst langweilt und nichts mit sich anzufangen weiß. Der Hit beim Besuch im Seniorenheim; weniger angenehm als Gegenüber beim konzentrierten Arbeiten. Der Intro ist da ganz pflegeleicht; man kann ihn bei Bedarf in eine dunkle Ecke stellen und später wieder abholen. Nicht wundern, wenn er bei Berührung dann leicht zusammenzuckt. Dagegen verschiebt sich der Aufwand, wenn man die beiden zu einer beliebigen Aktion animieren möchte. Beim Extro reichen ein paar bunte Farben in der Regel schon aus, um ihn zu motivieren. Beim Intro muss man dagegen massiv in die Trickkiste greifen, will man ihn hinterm Ofen hervorlocken. Der Intro kann lange geheimnisvoll und sogar intelligent wirken, wenn er es sich verkneift, den Mund aufzumachen. Der Extro spielt ihn locker an die Wand – aber nur eine Zeitlang, bis letztendlich doch auffällt, dass er nur heiße Luft von sich gibt. Um mit einem Intro zu zanken, muss man beide Parts des Streitgesprächs in verteilten Rollen selbst übernehmen. Konflikte mit Extros sind, wen wundert’s, ein dramatischer Selbstläufer.
Der Extro ist glücklicher als sein Extrem. Das behauptet er jedenfalls immer, sobald ihm jemand zuhört. Der Intro definiert dagegen, was denn „Glück“ sei, und entscheidet sich dann für „Unglück“. Das passt besser zu den dezenten Farben, die er gern trägt.
von martina | 20 November 2017 | Blog
In der Genesis der neuseeländischen Maori liebt Rangi, der Himmel, Papa, die Erde. Sie liegen in inniger Umarmung umschlungen, und Papa gebärt viele Söhne. Irgendwann wollen diese dem Dunkel der elterlichen Umarmung entkommen und trennen die Beiden in einem Akt postpubertärer Rebellion, der hier nicht weiter interessiert. Nur dessen Ergebnis: Der Himmel, Mann, liegt oben, die Erde, Frau, liegt unten.
Dies wird in der Missionarsstellung imitiert, die wir Europäer – zusammen mit mieser Küche, fiesen Krankheiten und übler Gottesfurcht – in „aller Herren Länder“ getragen haben. Oder war „Mann oben – Frau unten“ schon zuvor dort bekannt? Schließlich soll es sich dabei um die einfachste und folglich allererste Sexstellung überhaupt handeln. Die Fraglichkeit dessen zeigt das Paarungsverhalten anderer Tiere, wo Mann hinten – Frau vorn bevorzugt wird. Als einzige Ausnahme sehen Primaten wie die sexfreudigen Bonobos oder Flachlandgorillas einander beim Sex gelegentlich in die Augen.
Was ja auch oft als einer der Vorteile der Missionarsstellung genannt wird: Man erzeugt durch Blickkontakt reichlich Intimität, man kann sich küssen und sieht nicht viel vom Körper des anderen (was nun ein Vorteil sein kann oder auch nicht). Der Akt an sich ist nicht so anstrengend wie manch andere Sexstellung, zumindest nicht für die Frau, und für alles andere außer eine lustvolle Klitorisstimulation bestens geeignet. Es sei denn, der Mann ist sehr schwer und / oder sehr faul. Oder die Frau legt Wert auf Bewegungsfreiheit und Gestaltungsspielraum. Diese auch als „Mama-Papa-Stellung“ bekannte Position ist übrigens auf dem Papier die einzig legale Sexstellung in Florida. Ernsthaft.
Den Begriff „Missionarsstellung“ prägte „Master of Sex“ Alfred Kinsey, der den Anthropologen Malinkowski missverstanden hatte. Wahr ist, dass sich laut dessen Bericht ein Südseevolk über die einfallslosen Sexspiele der Missionare mokiert hat. Die Insulaner nannten die Stellung aber übersetzt „Die Frau kann nicht mitmachen“, was es so ziemlich auf den Punkt bringt. Als unschickliche „Missionarssitte“ schmähten sie allerdings nicht den Geschlechtsakt, sondern vielmehr das Händchenhalten in der Öffentlichkeit. Die Frau unten – Mann oben-Position ist sicherlich die geläufigste in unseren patriarchalischen Gesellschaften. Sie müsse, so liest man oft, beileibe und -lende nicht langweilig sein, sofern man sie durch Kisseneinsatz oder korrekten Schenkelwinkel aufpeppt.
Zudem illustriert sie auf ziemlich unprätentiöse Art den landläufigen Ausdruck „eine Frau flach legen.“ Wer unten liegt, der unterliegt. Beim BDSM hat „top“ und „bottom“ eine grundlegend andere Bedeutung. Wer wen beim Liebesspiel dominiert, steht hier von vornherein fest. Hauptsache, beide (oder: alle) Beteiligten haben ihren Spaß – unabhängig davon, wie dieser, in einen gesellschaftspolitischen Kontext übersetzt, interpretiert werden könnte. Der Mann, so legen manch Kritikerinnen nahe, knie bei der Missionarsstellung vor der eigenen Erektion statt vor der Göttin. Jede Frau, die auf dem Rücken liegend genießt, bestätige die Macht der Phallokratie. Im Bett findet also regelmäßig ein Kampf um soziale Unter- oder Überlegenheit statt. Hinterher dann der Kampf um die Bettdecke.
Und andersherum? Ein „richtiger Mann“, liest man in den Foren, positioniert sich beim Sex oben. Das setzen wohl vor allem die Frauen voraus, wie es aussieht. So schreibt eine: „Ein Mann, der ständig nur unten liegt und mich machen lässt, wäre mir langweilig.“ Dabei liegt auch ein Mann gern mal unten, ohne sich gleich seiner Männlichkeit beraubt zu fühlen, wie die Kommentare der Gliedträger nahe legen. Man denke an die Abbildungen des Kamasutra, bei denen kleine dicke Paschas sich liegend von grazilen Tempeltänzerinnen verwöhnen lassen. (Zumal ja auch ihr Bauch den akrobatisch mehr herausfordernden Stellungen im Wege stünde.) Doch es steht zu bezweifeln, dass die sich oben Abmühende tatsächlich die Überlegene ist.
Ein paar einfache Faustregeln können hier Abhilfe schaffen. Bei Sex im Freien (Insekten, Unterholz…) liegt der Mann unten. Beim Sex im Wasserbett liegt die Frau unten. Wer Knieprobleme hat, darf die Beine lang machen. Wer die Decke nach Spuren von Holzwürmern absuchen möchte, liegt unten. Wer über den Kopf des Partners hinweg ein wenig fernsehen möchte, kommt nach oben. Wer doppelt soviel wiegt wie der Partner: Runter! Und wer gleich nach dem Akt das Weite suchen will, statt über sexuelle Emanzipation zu diskutieren, bleibt besser oben.
von martina | 10 November 2017 | Blog
oder: Verbale Energien sinnvoll nutzen
Erinnert ihr euch noch an die guten alten Zeiten? Damals, als Frauen gesehen, aber nicht gehört werden sollten? Eine „Dame“ hatte kultiviert zu sein: Sie sollte nicht die Stimme erheben oder widersprechen, sie durfte auf keinen Fall die Rede an sich reißen und sie musste wissen, wann sie zu schweigen hatte. Laut werden war Sache der vulgären Frauen der Unterschicht: Waschweiber und Fischhändlerinnen, Dirnen und Tratschmäuler.
Wie lang mögen diese Zeiten vorbei sein, mag man und frau sich fragen – ohne zu erkennen, dass wir noch mittendrin stecken. Inzwischen, ganz klar, zählt die Stimme einer Frau, sie darf Rederaum für sich beanspruchen und ihre Meinung vertreten. Aber laut sollte sie dabei nach wie vor nicht werden – und schon gar nicht ausfallend. Ein Blick auf die üblichen „Gesprächsrunden“, ob im Fernsehen oder realen Leben, in politischem, kulturellen oder beruflichem Umfeld, zeigt, dass aggressives Sprechverhalten einem Mann zugestanden – oft, so drängt sich die Vermutung auf, sogar abverlangt – wird. Er nimmt souverän den Rederaum ein, der ihm gebührt – auch dann, wenn der ihm nach den Regeln von Fairness und Höflichkeit gar nicht zustünde, etwa, wenn er anderen Gesprächsteilnehmern ins Wort fällt oder seine Zeit über Gebühr ausdehnt.
Doch eine Frau, die verbal offensiv auftritt oder, bewahre, gar mal ein vulgäres Wort gebraucht, ist sofort unten durch. Sie hat sich als „Mannweib“ diskreditiert, als „aggressive Emanze“ – und selbst, wenn sie die besseren Argumente hat, wird sie nicht mehr ernst genommen. Ironischerweise kann eine Frau mit denselben besseren Argumenten, wenn sie allzu „feminin“ auftritt (zurückhaltend, mit leiser, hoher Stimme, höflich), ebenfalls nicht punkten. Selbst, wenn sie sich mit subtilen verbalen Spitzen als die intellektuell Überlegene beweisen könnte, geht das meist im lauten, hektischen Rhythmus des Gesprächs unter. Da beißt die Maus keinen Faden ab: Eine Frau hat es schwer, sich Gehör zu verschaffen, wenn sie nicht gerade in einem kuscheligen Kollegenkreis unterwegs ist, wo sich alle an die Regeln solider Gesprächskultur halten oder einen „talking stick“ herumreichen.
Dieser soziale Druck hat sonderbare Begleiterscheinungen. Zum einen fällt auf, dass es sehr oft gerade andere Frauen sind, die ihre Geschlechtsgenossinnen abstrafen, wenn diese aus dem ihnen zugestandenen Raster fallen: Ganz schön ordinär ist die Schlampe geworden, die scheint es ja nötig zu haben.
Zum anderen geraten selbst starke Frauen so unversehens in die Rolle eines Opfers, wenn sie sich hinterher über diese Dynamik beschweren, die sie, solange sie selbst im Podium saßen, nicht angesprochen oder ausgehebelt haben. „Er hat sich angemaßt, für uns Frauen zu sprechen“, klagt sie, wenn es zu spät ist. Sorry, Süße, sage ich dann, aber du hättest halt auch mal deinen Mund aufmachen sollen. „Aber ich kam doch gar nicht zu Wort! Hätte ich etwa so rumschreien sollen wie er? Das liegt mir nun wirklich nicht.“ Tja, Pech. Aber auch verständlich: Ruckzuck ist der Ruf ruiniert, und mit einer Reputation als Waschweib kann frau sich nur schwer behaupten.
Die besondere Kraft, die in einem derben KRAFTausdruck steckt, versagen wir Frauen uns deshalb allzu oft. Fluchen wie ein Bierkutscher, das ist das ultimative „Lautwerden“ – und wehe dir, wenn du dir diese belebende Energie des befreiten Abkotzens einmal anmaßt! Du spürst, wie deine Zuhörer zusammenzucken und unsichere Blicke austauschen. War die nicht eben noch ganz nett?, hörst du sie denken. Das ist doch eine Akademikerin! Hat sie was getrunken? Wohlgemerkt, ich spreche hier nicht vom medienwirksamen Kalkül, das hinter dem unflätigen Auftreten von Popsternchen, die ihr Image ändern wollen, oder C-Promis in entwürdigenden TV-Formaten steckt. Ich spreche von unser aller Alltag, der die soziale Schmiere eines gezielt eingesetzten Vulgarismus‘ durchaus gebrauchen könnte. Wir Frauen kennen und hassen alle jene Situationen, wo wir auf plumpe Anmachen oder massive Ungerechtigkeiten nicht mit einem verbalen K.o. reagiert, sondern versucht haben, ihnen auf „damenhafte“ Art zu begegnen. Ganz schwach.
Deshalb sage ich: Werdet laut, ihr Schlampen! Ganz gleich, welchen IQ, sozialen Status oder Bildungsstandard ihr im Kreuz habt. Ganz gleich, ob der laute Kerl euch gegenüber ein Generaldirektor, „Schöngeist“ oder emeritierter Wichtigtuer ist. Seid nicht leise, nur weil mann euch sonst eure Weiblichkeit absprechen könnte. Wenn ihr wirken wollt, wenn ihr gehört werden wollt, wenn es euch wichtig ist –
DANN WERDET VERDAMMT NOCH MAL LAUT!
(erschienen in Zeitpunkt Nr. 152, November 17, www.zeitpunkt.ch)
von martina | 23 Oktober 2017 | Blog
Seit Machtübernahme der sozialen Medien bekommen wir sie täglich um die Ohren geschlagen: Lebensmottos, erfrischend in ihrer Unoriginalität, überwältigend in ihrer Banalität und unerbeten in ihrer Onmipräsenz. „Jeder ist seines Glückes Schmied“, tönt es da zwischen niedlichen Katzenfotos, oder auch „Tanze, als ob dir niemand zusieht.“ Am beliebtesten sind Varianten des Carpe-Diem-Themas, und allen voran dieser: „Lebe jeden Tag, als wäre er der letzte.“ Und das ist nun wirklich das Dümmste, was man tun könnte.
Es ist so dumm, dass sich selbst jene, die den Spruch auf die virtuelle Stirn tätowieren, nicht überwinden können, es wirklich durchzuziehen. Man muss nicht den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ gesehen haben, um zu wissen, wie ein Tag, der keinerlei Konsequenzen nach sich zieht, letztendlich aussehen wird: Exzesse und Extravaganzen jeder Art. Weshalb auch nicht, wenn kein Hangover am Morgen danach zu befürchten ist? Mal ehrlich: wer würde am letzten Tag seines Lebens noch zur Arbeit gehen? Wer eine Versicherung abschließen, verhüten oder sich einen Bypass legen lassen? Miete zahlen, mit dem Kind zur Schule statt in den Park fahren oder sich gesund ernähren? Einzig Martin Luther wäre noch im Schrebergarten unterwegs, um ein Apfelbäumchen zu pflanzen. (Das er dann kurz darauf wieder rausziehen müsste, weil es eben doch nicht sein letzter Tag war und die Gartenverwaltung den Obstbaum nicht genehmigt hat.)
Am letzten Tag unseres Lebens würden wir die Liebsten besuchen, nachdem wir dem Chef endlich unsere Meinung gesagt hätten. Wir würden ihnen alles sagen, was es zu sagen gäbe. Und was würden wir ihnen dann morgen sagen, und übermorgen? Wir würden versuchen, noch ein, zwei Einträge auf der „Bucket List“ abzuhaken – was am Tag darauf höchstwahrscheinlich strafrechtliche Verfolgung, Exkommunikation oder Krankenhaus zur Folge hätte. Halten wir es also lieber mit Mark Twain, der sagt: „Gib jedem Tag die Chance, der Schönste deines Lebens zu werden.“ Weniger ist hier mehr als „alles oder nichts“.