Die dem Menschen innewohnende Widersprüchlichkeit lässt sich selten so deutlich beobachten wie am reisenden Volk: den Backpackern. Die natürlich auch nicht mehr das sind, was sie zu meiner Zeit waren. Krasseste Diskrepanz: Damals waren alle in meinem Alter, heute sind sie viel jünger. 😉
Außerdem trugen die jungen Männer meiner Jugend keine „Bärte“, die in den meisten Fällen an etwas erinnern, das man, fände man es daheim im Schrank, sofort schreiend entsorgen würde. Aber das tut hier nichts zur Sache.
Die Kürze der Begegnung, die Konformität der sich dadurch ergebenden Gespräche, das Bedürfnis, sich selbst als den einen Individualisten in der Masse darzustellen, und die absolut vergleichbare Situation, in der sie sich zum größten Teil befinden, bieten optimale Voraussetzungen zur Beobachtung. Ein Reallabor findet man überall dort, wo sich dieses rastlose Rudel rumtreibt: den „Hot Spots“ und „Geheimtipps“, den Must-Sees und Must-Dos weltweit.
Die folgenden Widersprüche habe ich nicht in dieser Gruppe als solcher festgestellt, sondern vielmehr in ein und denselben Individuen innerhalb dieser Gruppe.
* Sie absolvieren wochen-, ja monatelange Meditationsretreats. Nur zwei Mahlzeiten am Tag scheint der Weg zur Erleuchtung zu sein – den viele durch mitgebrachte Snacks unterwandern. Kaum zurück, legen sie das Handy nicht mehr aus der Hand und sind wieder permanent virtuell abwesend statt voll präsent im Hier und Jetzt, wie sie es dort gelernt haben.
* Sie reden von unglaublich wertvollen Atemübungen, während sie Zigaretten rauchen. Sie essen Junkfood (denn ein Monat ohne Pizza, Burger und Schoko ist einem Backpacker nicht zumutbar), trinken Alkohol und Cola in rauen Mengen – und geben danach teures Geld für Detox-Angebote aus. Hinterher konsumieren sie so weiter wie bisher.
* Sie wollen Land und Leute kennenlernen – aber nur in Lokalen essen, die speziell auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet sind. Sie glauben, dass der eine Tag unterwegs mit dem Guide schon eine echte menschliche Begegnung darstellt, die sie dann auf facebook ausschlachten können. Aber wehe, das Programm verzögert sich um eine halbe Stunde, weil der Guide nebenher eine Besorgung zu machen hat (tanken, bei einem Verwandten was vorbeibringen).
* Sie reden von Respekt gegenüber fremden Kulturen – denken sich aber nichts dabei, spärlichst bekleidet oder in fleckigen, löchrigen, dreckigen Klamotten unterwegs zu sein. Mit Müh und Not werfen sie sich vor dem Tempelbesuch etwas über – kriegen es aber nicht geregelt, ihre Schuhe nicht genau dort abzustellen, wo steht: „Don’t put shoes here!“
* Sie nehmen Infrastrukturen in Anspruch, über dessen Vorhandensein sie sich entrüsten. Vor drei Jahren war doch alles noch „viel ursprünglicher“ hier! Richtig – aber seither sind halt ein paar mehr Trottel mit ihren Ansprüchen gekommen. Sie klagen über Verkehr und Schmutz der Gastländer und essen am liebsten „organic food“ – aber denken sich nichts dabei, ein Moped statt eines Fahrrads zu mieten, ohne, dass eine echte Notwendigkeit dazu bestünde.
* Sie adoptieren fremde Erfahrungen als ihre eigenen und plappern unbesehen nach, was sie woanders gehört haben – ohne sich die Chance zu geben, eine eigene Meinung zu bilden. Oder wenigstens den Mund zu halten, um keine Gerüchte aus zweiter Hand zu verbreiten. Aber wenn der FB-Freund schon dort war, ist es doch so, als wären man selbst dort gewesen – right? „Going there is really not worth the trouble. My friends didn’t like it AT ALL.“
UND DAS ALLERSCHLIMMSTE:
Wenn man unterwegs ist, bieten sich auch optimale Voraussetzungen zur Eigenbeobachtung. Da kann man dann vor der eigenen Tempeltür kehren… es stehen sicher genug Schuhe davor…. 😉