Verant_WORT_ung!

Verant_WORT_ung!

Am Anfang war das Wort – und seither sind noch ein paar dazugekommen.

Sie sind inflationär in ihrer Fülle. Wir haben so viel davon, dass wir den Russen „Butterbrot“ abgeben können, den Angelsachsen „angst“ und den Franzosen „le heimweh.“ Allein dieser Blog hat mehr Worte, als du je brauchen wirst, um wortgewandt durch’s Leben zu gehen. Und doch gibt es einige Wörter, die fehlen. Wenn man nicht mehr hungrig ist, ist man satt – doch wie heißt die Entsprechung beim Durst?

„Rettet dem Dativ“ hat als grammatikalpolitische Aufforderung jegliche Brisanz eingebüßt, und der Werbung gelingt es, durch schamlose Verbalkosmetik aus jedem Eimer ein „traditionell multifunktionales, beidhändig zu bedienendes Transport-und Aufbewahrungs-Kombigefäß in klassisch-minimalistischem Design“ zu machen.

Verben stehen aktuell weit oben in der Worthierarchie – den Hauptwörtern in der Pole-Position dicht auf den Fersen. Adjektive dagegen haben müssen ihr klägliches Dasein in der Halbwelt von Werbung und Groschenromanen fristen. Dass manche Wortgruppen stilistisch völlig diskriminiert werden, musste ich neulich selbst erfahren, als ich meinem Lektor in einem Vorwort-Lokal traf. Da der wortgewaltige Mann mich eingeladen hatte, um ein ernstes Wort mit mir zu reden, befand ich mich nicht gerade in freudiger Erwortung.

Er ging auch gleich in medias wort: „Du musst verantwortlicher bei der Wortwahl sein. Dein Gebrauch von maßlos vielen Adjektiven ist ohnehin bedenklich – aber diese Menge an Adverbien, das geht zu wort!“

Ich schwieg beleidigt und löffelte nervös meine Buchstabensuppe. Das Radio sang monoton: „Bitte gib mir nur ein Wort!“, während der Kellner versehentlich ein zweisprachiges Menü fallen ließ. Im Aquarium die einzigen Wesen, die nicht viel Worte machten. Dann fragte ich etwas barsch: „Soll ich mich vielleicht vorsorglich gegen Adverbien impfen lassen?“

„Gib dir etwas Mühe, dann wort das schon“, antwortete er. „Kommt Zeit kommt Wort, wie es so schön heißt.“

„Worte sind geladene Pistolen, sagt Sartre“, sagte ich.

„Worte sind Taschen, in die bald dies, bald jenes, bald mehreres auf einmal hingesteckt worden ist. Sagt Nietzsche“, sagte er.

„Der Irrtum wiederholt sich immerfort in der Tat, deswegen muss man das Wahre unermüdlich in Worten wiederholen“, parierte ich mit Goethe.

„Doch nur, wo Worte selten, haben sie Gewicht“, versetzte er mir einen Shakespeare-Hieb.

Da mir die WordsApp auf dem Smartphone nicht weiterhalf, ging ich, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Ich hatte noch einen Termin in der Vogelworte der kleinen Wortschaft. Die Adverbien würde ich (schmerzlich) vermissen.