Da stehe ich nun im Olivenbaum und angle die letzten Früchte von den Ästen. Manche sind so dick und dunkel wie besonders große Weintrauben – doch lasst euch nicht täuschen, roh schmecken sie widerlich! Danach wird jede einzelne Frucht eingeschnitten und für mindestens drei Wochen zum Entbittern gewässert, wobei das Wasser täglich gewechselt wird. Im Anschluss kann man sie in Salz, Öl oder Lake einlegen. Massiver Arbeitsaufwand, der mir so nicht bewusst war.
Meine erste workaway.info-Erfahrung: Ich arbeite auf dem Land von Jo und Jake, Straßenkünstler aus London. Die beiden können die Arbeit hier nur mit Hilfe von workawayern stemmen: 25 Stunden die Woche für Kost und Logis. Die Logis ist eher auf der rustikalen Seite, und nachts wird es eiskalt hier in den Bergen. Dafür ist die Kost von Jo umso köstlicher. Meine beiden workaway-Brüder sind Stephen aus Kanada, ein Mann mit einer bewunderungswürdigen Haltung, von der ich mir viel abschauen könnte, und Arthur aus Frankreich, der sich easy-go-lucky durch die Welt jobt, weil er Kälte und Dunkelheit so wenig mag wie ich.
So eine Erfahrung bringt mir kollegenloser Freiberuflerin einige Erkenntnisse – die ich nicht unbedingt hier darlegen mag 😉 Aber innerhalb kürzester Zeit fühle ich mich als Teil der Familie, mache sogar Freunde im Tal. Das Tal, das ist el Morino, einer der drei Orte rings um Orgiva, in dem sich „Hippies“ und Aussteiger niedergelassen haben; manche in Häusern oder Schuppen wie meine Gastgeber, andere in Zelten, ausrangierten Schulbussen, Caranvans. Einige haben Paradiese geschaffen, andere kommen gerade so über die Runden. Je tiefer man diese Schlucht in die Berge hinabgeht, desto weniger dürr und knochentrocken wird es, und ganz am Grund, wo ein Fluss sprudelt, wirkt es wie in einer völlig anderen Welt. Albercas habe alle – riesige Wassertanks, die wie Swimming Pools anmuten. Die karge Schönheit der Natur und das erstaunliche Licht nehmen ein, aber mich dürstet es bei diesem Anblick.
Die Feiertage verlaufen familiär: Heiligabend ein Ausflug zu den heißen Quellen von Santa Fé (bei Granada), am Boxing Day nehmen uns Jo und Jake zu Freunden mit, deutsch-englischen Expats, die eine Schnitzljagd organisieren und Stephen und mich an einen separaten Tisch setzen. Dank des Einsatzes meines kanadischen Bruders sind wir dennoch die ersten am Buffet (‚Amateure‘, sagt er mit Blick auf Jo & Jake, die bis zuletzt warten) – und wandern danach eineinhalb Stunden „nach Hause“ zurück, weil kein Straßenverkehr an den Feiertagen.
Und familiär heißt auch: Manchmal geht man sich ein wenig auf die Nerven. Ich frage mich, was es mit einer Beziehung macht, wenn jeder potentielle Streit durch die Anwesenheit fremder Gäste im Keim erstickt werden muss. Wäre mal eine interessante Betrachtung für die Psycho-Studierenden unter den Lesenden 😉
Unterm Strich: Oliven pflücken, zwei Hochbeete bepflanzen und Schreddern – diese Art, ein Land kennenzulernen resp. Urlaub zu machen, hat echt was. Und ich werde demnächst selbst als Workaway-Host meine Gartenlaube von willigen Gästen streichen lassen!