Gute Vorsätze sind ähnlich verbindlich wie die Fahrpläne der Bahn. Man beabsichtigt im Grunde schon, um 17:32 Uhr von Gleis 13 abzufahren. Aber irgendwie kommt dann die Materialermüdung – der Einfall einer völlig unerwarteten Wanderdüne – ein all-you-can-eat-Angebot der Croissanterie nebenan dazwischen. Doch während sich der Zug dann in der Regel halt eine halbe Stunde später doch noch zur Abfahrt bequemt, ist bei unseren Vorsätzen gleich die Luft raus.

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…“, sagte Hesse – und bewies damit, dass auch er ein Fan der guten Vorsätze war. Was er im weiteren Verlauf des Gedichts verschweigt, ist

die Tatsache, dass NUR dem Anfang ein Zauber innewohnt. Der Rest sollte Routine sein, ist aber meistens nur Heulen und Zähneklappern. Vorsätze entwachsen der Notwendigkeit einer Veränderung. Und Veränderung ist gut, heißt es. Denn keine Veränderung bedeutet Stillstand, Umkehr sogar. Wer progressiv und dynamisch sein will, verändert sich schneller als sein Schatten, und wer den eigenen Optimierungsbedarf nicht erkennt, liest keine Frauenzeitschriften. Eine angestrebte Veränderung impliziert, dass der Ist-Zustand kein wünschenswerter ist und deshalb zügig durch den Soll-Zustand ersetzt werden muss. Oder eben: ersetzt werden sollte.

Dieses Wort „sollte“ hat es tatsächlich in sich: ohne die drastische Endgültigkeit, ja den Zwang von „MUSS“ bietet es ungleich mehr Spielraum für Selbstzerfleischungen. Das „sollte“ ist wie ein „bemühte sich“ im Arbeitszeugnis: „Sie bemühte sich, pünktlich zu sein.“ bedeutet ja: „Wir waren schon froh, wenn die faule Socke wenigstens zur Kaffeepause angeschlappt kam. Nicht, dass das viel gebracht hätte, faul wie die ist…“

„Sollte“ steht für: „Erkennt den Optimierungsbedarf, aber widersetzt sich aktiv der Notwendigkeit einer Veränderung.“

Der Optimierungsbedarf. Der Bergsteiger George Mallory erklärte auf Nachfrage, er steige auf den Everest, „weil er da ist.“ He Schorsch, will ich da rufen, das Tal darunter ist doch auch da! Mitsamt der Sherpa-Bar! Brauchst kein Sauerstoffgerät, um da gesalzenen Buttertee zu trinken!

Und wir, warum wollen wir den Gipfel der Veränderung ersteigen – mit Hilfe von guten Vorsätze, die wir wie Waffen am Gürtel tragen? Weil es möglich ist. Weil es jedem frei steht, ein besserer, erfolgreicherer, zufriedenerer Mensch zu werden. Weil wir hinter unserm Potential dahertrödeln wie Teenager hinter der Restfamilie beim Sonntagsspaziergang. Das muss nicht sein, ruft uns die Welt zu, der Soll-Zustand ist zum Greifen nah. Hol ihn dir, optimiere dich.

Ich hatte wirklich vor, diesen Blog noch 2015 zu starten. Seit letzten Sommer ist die Domain in mein Provider-Paket gebettet. Und den Sommer davor (oder zwei Sommer davor?) hab ich sie geschenkt bekommen*. Zügig, um wieder die Bahn-Metapher zu bedienen, ist anders. Ich hatte es wirklich vor. Doch dann erkannte ich: Mit allzu großer Hast würde ich bekunden, dass eine Martina ohne besterblogderwelt.de eine optimierungsbedürftige Martina ist, die den Gipfel des Bloggens hinaufkeucht, als ob es kein Morgen gäbe. Tomorrow is another day, wie sie uns schon in „Vom Winde verweht“ beigebracht haben. Also ließ ich das Ganze organisch wachsen. Und hier ist nun das Ergebnis. Jetzt, wo die meisten Neujahrsvorsätze den Weg aller Vorsätze gegangen sind (bekannterweise pflastern sie je den Weg zur Hölle), ist die Zeit gekommen, den meinen umzusetzen: Ich präsentiere euch den Besten Blog der Welt!

(*Seid Ihr so erstaunt wie ich, dass diese Domain noch nicht vergeben war?)